
Eine nicht zu akzeptierende politischen Einflussnahme sah wohl der Wahlkreisabgeordnete und Lehrer Dr. Norbert Herr (CDU) an der Richard-Müller Schule in Fulda für gegeben, als er die Kursarbeit des Ausbildungsberufes Bürokaufmann/Bürokauffrau in den Händen hielt, teilt die SPD-Landtagsabgeordnete Sabine Waschke (SPD) mit. Unter dem Titel „Vorschlag der SPD – Steuer gegen die Kluft“ hatte die Lehrkraft an der Beruflichen Schule den Schülerinnen und Schülern ein Aufgabenblatt mit einem Text aus der Süddeutschen Zeitung zum Einkommenssteuertarif 2010 gegeben. „ Die SPD will“- so ist dort zu lesen – „Arme entlasten und die Reichen stärker belasten – ein sinnvoller Vorschlag. Doch wegen der Finanzkrise werden alle Steuer-Versprechen unbezahlbar bleiben. Und sie wollen den Steuertarif so verändern, dass die Menschen mit geringem Einkommen weniger und jene mit höherem Einkommen mehr bezahlen. Das klingt auf den ersten Blick populistisch, macht aber auf den zweiten Blick Sinn.“
Zum Text stellte die Lehrkraft die Aufgaben: 1. Skizzieren Sie bitte den aktuellen Aufbau des Einkommenssteuertarifs 2010 in Deutschland und zeichnen Sie (skizzenhaft) alle wesentlichen Elemente zur Verdeutlichung Ihrer Darstellung ein. 2. Erläutern Sie, wie anhand des aktuellen Einkommenssteuertarifs 2010 der Vorschlag der SPD umgesetzt werden könnte: „Die SPD will die Armen entlasten und die Reichen stärker belasten. Machen Sie bitte konkrete Vorschläge zur Umsetzung.“
Diese Aufgabenstellung ging Norbert Herr wohl doch zu weit. Er witterte eine unverzeihliche Parteinahme zu Gunsten der SPD, meint Waschke. Deshalb brachte Herr eine kleine Anfrage in den Landtag ein, die Waschke vorliegt. Darin fragt Herr: „Hält die Landesregierung eine mit parteipolitischen Aussagen gewichtete Aufgabenstellung in der Schule für zulässig?“und „Wie gedenkt die Landesregierung dies für die Zukunft zu verhindern?“ Doch die Kultusministerin Dorothea Henzler (FDP) wollte der schwarzen Gesinnung von Herr in keinem Punkt folgen. Sie teilte ihm kurzerhand unmissverständlich mit, eine „parteipolitisch gewichtete Aufgabenstellung“ liegt in diesem Fall nicht vor. Es besteht kein Handlungsbedarf.“ – Im Gegenteil! Die Ministerin bescheinigte der Lehrkraft eine Aufgabenstellung ohne Fehl und Tadel: „Es handelt sich nicht um eine ‚parteipolitisch gewichtete Aufgabenstellung‘ in der Schule, sondern ausdrücklich um eine pädagogisch fundierte, nicht nur theoretische, sondern Alltagsrelevanz einschließende Aufgabenstellung.“
Dem Lehrer und Abgeordneten Herr erteilte die Ministerin in ihrer Begründung noch eine Nachhilfelektion in Sachen Demokratie: „Nach… dem Hessischen Schulgesetzes…erziehen und unterrichten die Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen der Grundsätze und Ziele der … dieses Gesetzes sowie der sonstigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften und der Konferenzbeschlüsse in eigener Verantwortung. Diese für die Unterrichts- und Erziehungsarbeit der Lehrerin oder des Lehrers erforderliche pädagogische Freiheit darf durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften und Konferenzbeschlüssen nicht unnötig oder unzumutbar eingeengt werden. Zur Gewährleistung der Erziehungsziele … haben Lehrerinnen und Lehrer im Unterricht insbesondere politische, religiöse und weltanschauliche Neutralität zu wahren. Gemessen an diesen Grundsätzen ist die von der unterrichtenden Lehrkraft an der Richard-Müller-Schule gestellte Klassenarbeit nicht zu beanstanden.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Thorsten Schäfer-Gümbel, wird die Klasse der Richard-Müller Schule nach Wiesbaden zu einem Gespräch einladen, um die Vorschläge der Schülerinnen und Schüler mit ihnen zu diskutieren.