Kolumne in der Fuldaer Zeitung
Dass wir als Sozialdemokraten über eine ausgeprägte Debatten- und Streitkultur verfügen, haben wir auf unserem Sonderparteitag in Bonn öffentlich eindrucksvoll demonstriert. In der Sache wurde hart gestritten, mit guten Argumenten auf beiden Seiten, aber immer im gegenseitigen Respekt. Streit ist nötig, um Positionen abzuklären und zu sinnvollen Entscheidungen zu kommen. Weniger „Basta“, mehr Debatte, Demokratie und Beteiligung. Das ist nicht einfach und führt manche an ihre Schmerzgrenze. Aber, das müssen wir aushalten und ertragen. Wir haben miteinander um den besten Weg der SPD gerungen und uns nach einer emotionalen Debatte mehrheitlich entschieden, jetzt mit CDU und CSU über einen gemeinsamen Koalitionsvertrag zu verhandeln. Der Streit auf dem Sonderparteitag über die Regierungsbildung macht deutlich, wie schwierig in einer Demokratie sowohl die Durchsetzung als auch der Ausgleich von Interessen ist.
Mit dem Parteitagsbeschluss dürfen nun die Koalitionäre von CSU/CSU und SPD das Instrument der Debatten- und Streitkultur, wie wir sie in unserer Partei pflegen, wortgewandt nutzen. Die Positionen von CDU/CSU auf der einen und der SPD auf der anderen Seite sind so gegensätzlich wie auf dem Sonderparteitag in Bonn. Meine Partei erklärt: Das Sondierungspapier ist der Beginn und nicht das Ende der Koalitionsverhandlungen. Sondierungen sind Sondierungen, die ausloten, ob es Sinn macht, in Koalitionsgespräche zu gehen. Die CDU/CSU sagt, wir werden auf keinen Fall das Paket der Sondierungsergebnisse wieder aufschnüren, wir haben sondiert und über diese Sondierung geht es nicht hinaus. Ich bin gespannt, ob am Ende ein Koalitionspapier vorgelegt wird.
Auf dem Sonderparteitag wurde immer wieder vom „Zwergenaufstand“ gesprochen. Ein Politiker muss wohl die JUSOS als Zwerge bezeichnet haben, weil sie Nein zur GroKo sagen. Zur Entschuldigung des Politikers wurde vorgetragen, er komme aus einer Partei, die nicht über eine ausgeprägte Debatten- und Streitkultur verfügt und deshalb wisse er gar nicht, dass in der SPD jeder seine eigene Meinung vertreten darf. In seiner Partei, so wurde berichtet, werden alle Entscheidungen hinter verschlossenen Türen vom Parteivorstand ausgekungelt. Diese Partei würde gelegentlich in ihrem Verhalten an einen Hühnerhof erinnern. Um im Bild zu bleiben: Ein Gockel gibt durch lautes krähen die Richtung vor und das Hühnervolk folgt ihm dann blind. – Parteimitglieder sollen darüber wütend sein und sich nicht ernst genommen fühlen, wird erzählt.
Vor kurzem ereignete sich in dieser Partei unglaubliches, berichtete der Bayern Kurier. Ein nicht so ranghoher Gockel – der mit der Debatten- und Streitkultur nichts anfangen kann – hat den SPD-Chef Martin Schulz öffentlich lauthals angekräht „er müsse jetzt zeigen, dass er den Zwergenaufstand in den Griff bekommt“. – Ja, solche Gockel gibt es, die aus der Feudalherrschaft kommend am Suppentopf vorbei plötzlich in der Gegenwart aufkreuzen. Zum Glück leben in der Schwesterpartei Streiterprobte, die mahnend mit den Flügeln schlagen: „Jeder einzelne Delegierte auf dem Parteitag der SPD hat die gleiche Stimme, und da gibt es keine Riesen und keine Zwerge. Das sind Menschen, die entscheiden für ihre Partei – und das sollte man auch respektieren.“ Recht hat er! – Noch Fragen zum „Zwergenaufstand“?
In der Partei rumort es. Alexander Mitsch, Vorsitzender der WerteUnion der CDU sagt: „Es erscheint uns sehr wichtig zu sein, dass auch die Mitglieder in der Union, so wie die Mitglieder in der SPD, über so wesentliche Dinge entscheiden dürfen wie über einen Koalitionsvertrag.“
Das stimmt mich als Sozialdemokratin zuversichtlich und lässt hoffen, dass die Debatten- und Streitkultur, wie wir sie in der SPD pflegen, zum allgemeinen Kulturgut in der Parteienlandschaft und unserer Gesellschaft wird.